Wie man aus Goldfischen wieder Menschen macht.
Oliver Weber über Aufmerksamkeit- 4 min Lesedauer
Kürzer. Schneller. Einfacher. 7 Worte für eine Headline. 5 Sekunden für den Catch. 3 Sekunden zum Thumb-Stopping-Moment. Es gibt nur eine Chance – oder die Aufmerksamkeit ist weg. Aber ist das wirklich so? Und falls ja: Was kann man dagegen tun?
Wenn man sich mit Studien und Trends im Marketing beschäftigt, wird einem schnell vermittelt: Es gibt keine Menschen mehr. Nur noch Goldfische. Zumindest scheint es so. Jede Botschaft muss immer noch schneller erzählt, immer noch einfacher verpackt werden. Niemand schenkt einem mehr freiwillig seine Aufmerksamkeit. Aber wenn man sich anschaut, was im Marketing momentan alles veröffentlicht und produziert wird, ist das leider auch nicht wirklich verwunderlich.
Kreation wird immer austauschbarer
Durch unseren Drang, alles noch schneller, kürzer und einfacher zu machen, ist unsere Kreation immer austauschbarer geworden. Dabei erlebt die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen gerade eine regelrechte Renaissance: Serien werden staffelweise konsumiert, Podcasts ziehen sich über mehrere Stunden und um Game-Releases häufen sich Urlaubsanträge und Krankmeldungen. Es wäre also der perfekte Moment für eine Form von Kreation, die nicht ausschließlich um die Aufmerksamkeit der Zielgruppe kämpft. Sondern die sie sich mit überraschenden Ideen und gutem Storytelling verdient. Aber was braucht es dafür?
Wir alle haben einen Bekannten, der ein wirklich seltsames oder erklärungsbedürftiges Hobby hat. Etwas unfassbar Technisches vielleicht, oder Kompliziertes. Etwas, das niemand so wirklich versteht. Und trotzdem, wenn er uns davon erzählt, spricht er mit so viel Liebe und Leidenschaft, dass wir ihm stundenlang zuhören könnten. Und genau das ist der Punkt: Gutes Storytelling. Und das ist mit Allem möglich – egal, wie technisch, kompliziert oder trocken das Thema am Anfang vielleicht erscheinen mag. Denn auch, wenn es nur um Zahlen oder Daten geht, am Ende ist jedes Business ein People-Business. Und genau daran können wir – entgegen allen Trends im Marketing – ansetzen. Mit einem einfachen Trick: Uns selbst als ersten Kunden sehen.
Früher hieß es „Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler“. Aber wer ist heutzutage eigentlich der Fisch? Und wer der Angler? Wenn wir nur Kreation machen, um der vermeintlich schwindenden Aufmerksamkeit entgegenzuwirken, ihr aber selbst keine schenken, warum sollte es dann unsere Zielgruppe tun? Wenn wir uns selbst als ersten Kunden sehen und unsere Kampagnen so anlegen, dass wir – wie unser Bekannter – mit Begeisterung der Welt davon erzählen können, dann wird unsere Zielgruppe uns auch gerne ihre Aufmerksamkeit schenken. Egal, ob in 7 Worten. Oder 700.
Mit 3 Fragen zur aufmerksamkeitsstarken Kreation.
Dabei gibt es drei Fragen, mit denen wir uns recht einfach selbst überprüfen können, ob das, was wir gerade produzieren, die Aufmerksamkeit der Zielgruppe verdient.
Frage 1: Ist das, was ich gerade mache, (wenigstens) nicht nervig? Zugegeben, es mag eine etwas scharf formulierte und vielleicht etwas seltsame Frage sein. Aber sie kann dabei helfen, PreRolls nicht bei erster Gelegenheit überspringen zu wollen oder wegzuschalten, wenn irgendwo Werbung kommt.
Frage 2: Ist das, was ich gerade mache, handwerklich so gut, dass weder mein Auftraggeber noch eine AI es besser hinbekommen würde? Künstliche Intelligenzen sind wahnsinnig fortgeschritten und können uns das Leben und unsere Arbeit stark erleichtern, daran besteht kein Zweifel. Was eine AI aber nicht kann, ist mit derselben mitreißenden Liebe und Leidenschaft von etwas zu erzählen, wie unser Bekannter. Das können nur wir. Wenn wir als Berufskreative also versuchen, unsere Kreation auf fundiertes Fachwissen, exzellente Handwerkskunst und jede Menge emotionalem Fingerspitzengefühl aufzubauen, dann stehen die Chancen gut, dass man sich unsere Kampagnen auch länger als 3 Sekunden anschaut.
Frage 3: Ist das, was ich hier mache, so gut, dass ich selbst gerne meinem Bekannten davon erzählen wollen würde? Diese Frage beschreibt die absolute Königsdisziplin: Das unbedingte Bedürfnis der Welt zeigen zu wollen, was man gemacht hat. Ob das eine über-sichtbare OOH-Kampagne oder ein hoch-technologisches B2B Mailing ist – wenn wir begeistert davon erzählen können, dann stehen die Chancen hoch, dass auch unsere Zielgruppe dem gerne ihre Aufmerksamkeit schenkt. Dieser Anspruch wird wahrscheinlich nicht immer möglich sein. Die Frage dagegen schon.
Arbeitet man unaufmerksam, können sich selbst die 6 Sekunden einer Bumper Ad wie eine Ewigkeit anfühlen. Aber wenn wir uns auf gute Geschichten konzentrieren und diese mitreißend mit handwerklicher Sorgfalt erzählen, dann brauchen wir uns um die Aufmerksamkeit unserer Zielgruppe keine Sorgen zu machen. Denn am Ende sind Menschen halt nun einmal genau das: Menschen. Und keine Goldfische.